was tun?
Als ich Jungoffizier war, befand sich die OSH (Offiziersschule des Heeres) noch in der Vahrenwalder Straße in Hannover. Dort legte man uns als Lektüre die Tagebücher des „Wüstenfuchses“ Rommel nahe. Unabhängig davon, dass er für „die dunkle Seite der Macht“ kämpfte, als Nazi-General also nicht zum Vorbild taugt, sind die Studien seiner taktischen Überlegungen bis heute wertvoll, wenn man kreative Lösungen für gewaltsame Konflikte sucht. So erfuhren wir auch, dass viele US-Offiziere Deutsch lernen, um genau diese Texte im original zu lesen. Schade, dass sie trotzdem nicht verstanden werden – anders lässt sich die aktuelle Lage kaum erklären.
2001 begann der Kampf gegen den Terror. Schon nach kurzer Zeit gelang ein Einmarsch in Afghanistan. Die beteiligten NATO-Truppen schafften es, so manches Gebiet von den Taliban zu befreien. Insbesondere die unwegsamen Gelände aber bildeten ideale Rückzugsgebiete, die den Gegner Möglichkeiten zum Verstecken gaben, woran die Einnahme des gesamten Landes scheiterte.
Überraschend? Nein! Waren es doch die US-Truppen, die zuvor die Taliban (bzw. deren Vorläufer) im Kampf gegen die russischen Besatzer mit Ausbildung und Waffen unterstützt haben. Mit viel Vergnügen betrachtete man in der NATO damals das Scheitern der hochgerüsteten Wahrschauer-Pakt-Truppen, die in Partisanenkampf kläglich scheiterten. Zitat des Flugabwehr-Lehrers der Offiziersschule: „Da fliegt der Stolz der russischen Luftwaffe: ein hochgerüsteter Kampfhubschrauber; auf dem Berg steht versteckt ein kleiner Mann in Lumpen, mit Sandalen und einen uralten Karabiner und holt das Ding vom Himmel. Wie wollen Sie das Problem lösen?“.
Es hat übrigens noch nie eine funktionierende Strategie gegen ortskundige Partisanen gegeben.
So kann man eigentlich nicht davon ausgehen, dass für einen eigenen Einmarsch die Vorgehensweise des WP kopiert wird, um am Ende genau so zu scheitern! Man kann?!
Naja, fairerweise muss man dazu sagen, dass der WP noch keine modernen Kampfdrohnen hatte. Vielleicht glaubte die NATO ja, nur aufgrund der moderneren Bewaffnung müsste man sich keine neuen Gedanken machen… mit besseren Kriegsgerät würde es wohl von alleine laufen.
Hier kommt Rommel ins Spiel. Dieser war ein Meister die List – seit dem Trojanischen Pferd hatte niemand mehr so konsequent auf Täuschung als Kriegslist gesetzt.
Wie bringt man also einen Feind, der sich zum Partisanenkampf in unwegsames Gelände zurückzieht dazu, sich zu zeigen?
Genau: Man simuliert einen Rückzug und wartet darauf, dass der Feind die Tarnung aufgibt. Mit wenig Fantasie kann man auch Ziele benennen, die zuerst von ihm angesteuert werden. So ist es nur klug, beim Rückzug möglichst viel eigenes Kriegsgerät im Land zu lassen – natürlich nicht, ohne dieses vorher zu verminen, sodass es sich gegen die neuen Benutzer richtet.
Diese List hat die NATO jetzt endlich – zehn Jahre zu spät, aber besser spät als nie – umgesetzt. Jetzt warte ich darauf, dass es „Plopp“ macht und die Falle zuschnappt.
In meinen schlimmsten Albträumen hingegen, ist der Rückzug allerdings keine Kriegslist und das zurückgelassene Kriegsgerät ist funktionsfähig. Dann hätte der Westen die Taliban zum zweiten Mal mit Waffen ausgestattet und das afghanische Volk verraten!
In den Nachrichten äußern sich gerade viele Verantwortliche, dass sie „überrascht“ sind. Der Feind hatte 20 Jahre Vorbereitungszeit! Die Armee läuft über? Oooohhh, das ist ja überraschend! Kann es sein, dass ihr da auch den einen oder anderen Taliban an seinen neuen Waffen ausgebildet habt?
Dazu mal ein paar Gedanken, die das Geschehene ganz und gar nicht überraschend erscheinen lassen:
Afghanistan ist kein Staat wie wir ihn kennen. Es ist ein Gebiet, das von zahlreichen Stämmen bewohnt wird. Deshalb gibt es auch kein Nationalgefühl, dass für Soldaten einer Armee einen Zusammenhalt begründen könnte. Auch sind es dort nicht die hellsten Lichter am Baum, die sich zum Dienst in den Streitkräften entscheiden. (Das ist bei uns übrigens oft nicht anders).
Dazu kommt, dass jedes Volk einen Fetisch hat: Bei uns sind es Autobahnen ohne Tempolimit und hochmotorisierte Autos. Dort sind es – welch eine Überraschung – Waffen. Wie bei uns wird der eigene Selbstwert dort durch das Statussymbol erhöht. Wie bei uns und den Autos gilt auch dort für die Waffen: Groß müssen sie sein und laut!
Vereinfacht könnte man sagen, dass die Menschen, die bei uns SUV fahren würden, dort zur Armee gehen. Und denen traut ihr ernsthaft zu, ihr Leben einzusetzen um gegen die Taliban zu kämpfen? Das kann niemand ernsthaft geglaubt haben. Welchen Vorteil haben sie durch das Überlaufen? Auch der Dümmste und Ungebildetste kann bei den Taliban zur ganz großen Nummer werden. In einer Demokratie muss – auch in Afghanisten – der Mann seine Familie durch Arbeit ernähren können. Ohne Arbeit: keine Frau, keine Familie. Als Gotteskrieger nimmt man sich die Frau einfach – und nicht nur eine! Zwei oder drei Frauen sind für den Taliban kein Problem – immerhin haben sie die besten Argumente: die größten Waffen und den Segen Gottes. Dank unserer Ausbildung können sie sogar damit umgehen (den Waffen). Die ersten Bilder von Waffen aus deutscher Produktion in Talibanhänden habe ich bereits in den Nachrichten gesehen. Ich kann meine Wut kaum in Worte fassen.
Was passieren wird, wird hoffentlich niemanden überraschen:
Wer sich in den vergangenen 20 Jahren demokratisch engagierte wird ermordet. Wer sich der Scharia nicht unterwirft, wird ermordet. Wer mit den gottlosen Westmächten fraternisierte, wird ermordet. Wer weltlichen Besitz hat, den ein Taliban für sich haben möchte, wird (unter einem Vorwand) ermordet. Im Zweifel lebt auch gefährlich, wer Bildung erworben hat. Diese ist gefährlich, also besser ermorden. Frauen werden versklavt oder ermordet.
Warum ist das nicht überraschend? Weil genau das schon bei der letzten Machtübernahme der Taliban so geschah. Es gibt keinen, wirklich KEINEN Grund, etwas anderes zu erwarten.
Was wäre eine bessere Strategie gewesen und was muss jetzt geschehen?
Sollte die NATO sich noch einmal zu einer Besetzung Afghanistans entschließen, so würde sie vermutlich wieder genau so vorgehen und genau so scheitern. Deshalb wird es keinen weiteren Versuch geben. Keine Überraschung!
Warum wurde die Besatzungszeit des WP nicht ausgewertet und die Erkenntnisse genutzt?
Niemals hätte man Männer mit geringer Bildung zu einer Armee ausbilden und bewaffnen dürfen!
Gedankenspiel: Wären ausgebildete und bewaffnete SOLDATINNEN auch übergelaufen? Ach, so leicht geht das? Ja, so leicht. Zumindest wäre das ein neuer Ansatz gewesen, der auch so manch anderes Problem in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft gelöst hätte. Merke: Jeder Frau eine Argumentationshilfe 9mm, das beendet jedes Patriarchat!
Aktuell stellen sich uns zwei Fragen:
1) Sollen wir aktiv und vor Ort in das Geschehen eingreifen, um möglichst viele Ortskräfte und andere potenzielle Opfer der Taliban zu retten und
2) wie nehmen wir diese Menschen bei uns auf?
Schon jetzt tragen unsere politischen Führer die Verantwortung für zahllose Morde, Vergewaltigungen und andere Gräueltaten. Nichts kam überraschend! Deshalb rechne ich auch nicht mit einer ernstgemeinten Rettungsaktion, die über eine reine Alibifunktion hinaus geht. Christdemokraten gehen für ihren Profit nun einmal über Leichen – nicht nur im Mittelmeer, bei Pharmapatenten, beim Katastrophenschutz, Luftfilter für Schulen, …
Eine Lösung die wirklich Menschen retten möchte, liegt irgendwo zwischen einer militärisch gesicherten Evakuierung aller gefährdeten Personen und einem erneuten Einmarsch. Mir ist klar, dass militärische Optionen im Ausland nie eine gute Lösung sind – manchmal aber nicht die schlechteste.
Wir sind in erheblichen Umfang verantwortlich für das Elend der Flüchtlinge, die sich inzwischen auf den Weg machen. Wir sind es ihnen nicht nur schuldig, sie bei uns herzlich aufzunehmen – wir müssten uns auch bei jedem einzelnen von ihnen entschuldigen.
Aktuell gibt es Fälle, in denen das AA (Auswärtige Amt) afghanischen Ehefrauen deutscher Männer die Einreise verweigert, weil der Nachweis der Sprachprüfung A1 nicht vorliegt. Dies ist ein Szenario, dass meine Frau und ich – zum Glück ohne Krieg im Herkunftsland – bereits durchgespielt haben. Die zuständige Ausländerbehörde hat tatsächlich versucht, meine Ehefrau – immerhin Psychologin, also jemand den wir hier dringend brauchen – abzuschieben und mit einem Wiedereinreiseverbot zu belegen. Solche Menschen entscheiden jetzt über Schicksale von Kriegsflüchtlingen.
Können wir nicht einfach – wie 2015 – die Menschen willkommen heißen und sie als Bereicherung sehen?
Warum ist z.B. die Verfolgung aufgrund der Religion ein Asylgrund, die Verfolgung aufgrund des Geschlechts aber keiner? (Als Schelm würde ich Frauen sogar bevorzugt dazu ermutigen, zu uns zu fliehen – sonst kommen überwiegend Männer – die sind stärker und haben bessere Chancen, durchzukommen – 50/50 wäre besser. Ein höherer Frauenanteil unter den Geflüchteten wäre problemlos, ein höherer Männeranteil leider nicht – Testosteron der Männer und der größere Wunsch nach Bildung der Frauen lassen sich nun einmal nicht wegdiskutieren.)
Welches Herumgeeiere steht uns bevor, wenn die Behörden die Asylanträge der 2021/2022-er Flüchtlingswelle prüfen müssen? Die können nicht zurück! Nie! Also am besten gleich eine Arbeitserlaubnis und eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis.
Und ja: Bei den Flüchtlingen werden auch wieder Verbrecher dabei sein. Das ist so. Je schlechter wir sie behandeln, desto mehr werden es werden; je besser wir sie aufnehmen, desto weniger. Mancher kommt erst aus der Not heraus auf die schiefe Bahn. Das gilt übrigens auch für „Biodeutsche“.
Was war eigentlich vor dem Einmarsch des WP? Afghanistan war ein westlich orientiertes, modernes Land! Dazu gebe ich folgende, dringende Leseempfehlung: Der Roman „Drachenläufer“ von Khaled Hosseini. Schade, das das Buch gerade wieder aktuell wird.
Das Buch „Unterwerfung“ von Michel Houllebecq – ebenfalls lesenswert – beschreibt, wie ein alter, weisser Mann ohne Perspektive sich zugunsten seiner persönlichen Vorteile für das Leben im religiösen Patriarchat entscheidet. Nach diesem Buch ahnen Sie, welche Verlockungen den „einfachen, kleinen Mann“ in der Armee zum Überlaufen bringen kann.
Zur eigenen Vita: von 1988 bis 2001 war ich Offizier der Heeresfliegertruppe und Kommandant eines „Panzerabwehrhubschraubers“. (Damals vermied man noch das Wort „Kampfhubschrauber“). 1997/98 diente ich in der Zelle Flugeinsatz eines Divisionsgefechtsstandes in Bosnien und war u.a. für die Luftrettung bzw. Rettungsaufnahme aus der Luft zuständig – habe also ein wenig Ahnung vom Fach. Der NATO-Einmarsch in Afghanistan fiel in das Ende meine Dienstzeit. Als Jugend- und Presseoffizier habe ich damals mehrfach Vorträge über den Krieg gegen die Taliban und das vorangegangene Scheitern der WP-Truppen gehalten.