Heute musste ich – im übertragenen Sinne – Federn lassen. Bei Menschen spricht mann von Haaren und statt „Federschmuck“ tragen wir „Haartracht“.

Eigentlich bräuchte ich zum „Federn lassen“ keinen Friseur sondern einen Konkursverwalter: wo der Verstand wächst, müssen die Haare eben weichen.

Mein Friseur ist Enzo, eine gute Autostunde entfernt und verdient hier etwas Schleichwerbung. Er hat seinen Salon in der Nähe der Klappsmühle, in der ich ab und zu vor mich hin rekonvaleszensiere. Da es für mich immer sehr unangenehm war, zum Haarschneiden zu gehen – immerhin habe ich einen ausgewachsenen Haschmich in der Birne – und weil die Resthaarmenge immer überschaubarer wurde, hatte ich mich lange Zeit für die „Nullfrisur“ entschieden. Einfach mit dem Rasierer etwas auf dem Kopf spazierenfahren und das Problem ist gelöst. Ich finde auch, dass es mir steht.

Ich werde am Ende des Buches ein kleines Aktfoto von mir anfügen, das mich haarlos zeigt. Davon können die weiblichen Leser bitte ihren Männen vorschwärmen: Damit nehmt ihr mann viele Ängste. So manche setzt den Verlust der Haare gleich mit dem Verlust der Manneskraft. Sicher trifft das oft gleichzeitig zu – steht aber in keinen Zusammenhang.

Wie genau eine Glatze definiert ist, findet sich bei Wikipedia:

„Als Glatze (auch Kahlkopf) bezeichnet man die Oberseite des menschlichen Kopfes, wenn auf ihm keine Haare vorhanden sind.“

Endlich weiß ich es genau! Wikipedia ist schon spitze! Weiter steht dort:

„Langes Haar gilt von alters her als Zeichen der Fruchtbarkeit und Vitalität. Die freiwillige Glatze dagegen ist oft ein bewusstes Erkennungsmerkmal, in religiösem Kontext als Zeichen der Entsagung, bei Soldaten, bei Frauen zur Unterstreichung der Androgynität.“

Hey! Sind Soldaten (und Ehemalige) etwa nicht fruchtbar?

Die Problemkonstellation: Meine Haare neigen dazu zu wachsen, und meine neue Gebieterin hat mir Haarpracht verordnet.

Mein Problem war es also, in der Nähe der Ballerburg einen Friseur zu finden und dann auch noch hinzugehen. Die Probleme im einzelnen: Ungewohnte Umgebung, Berührung durch fremde Person, Kontrollabgabe, kein direkter Einfluss auf das Ergebnis, keine Vorinformationen, keine „Fluchtmöglichkeit“ während der Behandlung und keine freie Sitzplatzwahl. (Die totale Übersicht ist wichtig für Zwanghafte. Am besten wäre ein Feldherrenhügel. In Restaurants sitzen die Zwanghaften immer in der Ecke, weil sie von da alles im Blick haben und niemand im Rücken sitzen kann. Einfach mal darauf achten).

Ich habe die Problematik also mit Hilfe meines Therapeuten mehrfach analysiert, in der Gruppentherapie thematisiert, mir ein Bedarfsmedikament gegen plötzliche Panikattacken mitgeben lassen („Barschel-Ex“, also „Tavor“), im Internet recherchiert, einen Friseur gefunden, mir einen Termin geben lassen, die Wegstrecke in Google-Maps festgelegt, in mein Navi und in das Navigationsprogramm meines Smartphones übernommen.

Sie finden das lustig? Das ist es auch – für alle Beteiligten außer dem Zwanghaften.

Was bei mir allerdings hilfreich ist, ist meine Neugier. Neugierig wurde ich bei der Homepage des Figaros: „Wenn Sie einen Friseur suchen, sind Sie hier falsch! Richtig sind Sie, wenn es ein echter Figaro sein muss!“ stand da.

Etwas tiefer: „Nach einem Besuch bei Enzo geht man nicht nur gut frisiert, nein, man fühlt sich einfach besser, denn Enzo behandelt nicht nur die Haare, sondern auch die Seele.“ und „Zusammengefasst garantiert ein Besuch bei Enzo nicht nur einen perfekten Haarschnitt bzw. die perfekte Frisur, sondern auch ein Lächeln und ein warmes Gefühl im Herzen, das man mitnimmt und das einem den Tag schöner macht.“

So einfach geht das also – Generationen von Philosophen denken über den Sinn des Lebens und das Glück nach. Wer auf der Suche scheitert und die Welt so erkennt, wie sie ist – dunkelschwarz also -landet in der Klappse und wird aufwendig therapiert, obwohl die Lösung so nah liegt.

Ich habe den Friseurbesuch also zum Teil meiner Therapie erklärt und lege die Belege jetzt regelmäßig mit einer Kopie dieser Homepage meiner Krankenkasse vor.

Im Salon treffen allerlei Persönlichkeiten aufeinander. Viele Musiker, denn zwischen den Frisiertischen stehen allerlei Instrumente: Klavier, Schifferklavier, Gitarre,… ab und zu wird eines oder mehrere davon benutzt, während irgendeine Substanz in Haaren einwirken muss, bekommt der Kunde oder die Kundin schon einmal ein Ständchen. Das Geschäftsgebäude ist ein uraltes, liebevoll restauriertes Fachwerkhaus, und Espresso gibt es natürlich auch. Nicht jeder, der kommt, braucht einen Haarschnitt – es wird auch geplaudert und wenn ich da bin, gibt es auch eine wandelnde Computerhotline.

Also keine leeren Versprechungen auf der Homepage – dort ist wirklich ein gemütlicher Ort. Dumm für mich: Als Zwanghafter muss ich jetzt immer eine halbe Weltreise zum Friseur zurücklegen – und das noch viele Jahre 😉

Was die Korrelation zwischen Haarpracht und Männlichkeit an- geht – So langsam glaube ich selber daran, dass ich mit Haaren besser aussehe als vorher. Inzwischen haben sie auch schon wieder eine Länge, dass sie als solche bezeichnet werden dürfen. Ob sich was geändert hat – da müssen Sie schon meine Gebieterin befragen. Vielleicht fragen Sie aber auch einfach die Frau eines Tou- petträgers, ob er auch ohne kann 😉

Abschliessend grüße ich noch das Toupet von Ole von Beust und die restlichen „Fifis“ der restlichen Möchtegernhaarhaber: Glaubt an Wikipedia und seid fruchtbar!

Nachtrag zehn Jahre später: Ehefrau 3 besteht auf Glatze 😉

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